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Pflichtteils­ergänzungs­anspruch

Der Gesetzgeber hat zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten angeordnet, dass bestimmte Schenkungen vor dem Tod des Erblassers bei der Pflichtteilsberechnung im Rahmen eines sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§ 2325 BGB) zu berücksichtigen sind. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Erblasser zu Lebzeiten Teile seines Vermögens verschenkt, dadurch den pflichtteilsrelevanten Nachlass reduziert und so den Pflichtteil entwertet.

Anders als der Pflichtteilsanspruch steht der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht nur demjenigen zu, der durch Verfügung von Todes wegen enterbt ist. Auch ein Allein- oder Miterbe kann Gläubiger eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs sein, wobei der Wert des Erbteils auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2326 BGB angerechnet wird.

Was bedeutet Pflichtteilsergänzung?

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Schenkungen des Erblassers

Eine Schenkung ist gemäß § 516 BGB eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, wenn beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.

Gemischte Schenkungen, also Zuwendungen des Erblassers, für die er vom Beschenkten zwar eine Gegenleistungen erhält, bei der die Gegenleistung jedoch nicht dem Wert der Leistung entspricht, können in Höhe des unentgeltlichen Anteils der Pflichtteilsergänzung unterliegen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Pflichtteilsberechtigte nachweisen kann, dass sich der Erblasser und der Beschenkte darüber einig waren, dass eine Teilunentgeltlichkeit vorliegt. Dies ist nicht der Fall, wenn die Parteien des Rechtsgeschäfts trotz einer objektiven Ungleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung fehlerhaft von deren Gleichwertigkeit ausgingen. In einem solchen Fall liegt keine Schenkung vor, sondern lediglich ein günstiges Geschäft für einen der Vertragspartner.

Bei einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung spricht nach der Rechtsprechung eine Vermutung für eine unentgeltliche Leistung, also für eine gemischte Schenkung.

Sogenannte Pflicht- und Anstandsschenkungen im Sinne des § 2330 BGB begründen keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Zu den Anstandsschenkungen zählen kleinere Zuwendungen zu bestimmten Anlässen (Geburtstag, Weihnachten, Hochzeit). Pflichtschenkungen können dagegen einen erheblichen Wert haben, müssen aber sittlich geboten sein. So können Zuwendungen für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für eine Pflege und Versorgung im Alter eine Pflichtschenkung sein.

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Lebensversicherung und Pflichtteilsergänzung

Die Lebensversicherungssumme kann bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2303 BGB) nur berücksichtigt werden, wenn sie Bestandteil des Nachlasses ist. Fehlt es an der Benennung eines Bezugsberechtigten oder wurde diese vor dem Erbfall widerrufen, fällt die Versicherungssumme in den pflichtteilsrelevanten Nachlass.

Fällt die Versicherungssumme nicht in den Nachlass, kann der Erbe des Versicherungsnehmers gemäß § 2325 BGB zur Pflichtteilsergänzung verpflichtet sein; der Bezugsberechtigte selbst haftet gemäß § 2329 BGB nur subsidiär.

Im Anwendungsbereich des § 2325 BGB war bei Kapitallebensversicherungen auf den Todesfall lebhaft umstritten, ob als Berechnungsgrundlage für die Pflichtteilsergänzung die ausbezahlte Versicherungssumme, die vom Erblasser entrichteten Prämien oder der Rückkaufswert anzusetzen sind. Mit zwei Urteilen vom 28.04.2010 hat der Bundesgerichtshof (ZEV 2010, 302) diese Rechtsfrage entschieden: Es kommt allein auf den Wert an, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten juristischen Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. Bei der Berechnung ist deshalb in aller Regel auf den Rückkaufswert abzustellen.

Zeitliche Begrenzung der ergänzungspflichtigen Schenkungen

Gemäß § 2325 Absatz 3 BGB wird eine Schenkung nur im ersten Jahr vor dem Erbfall zu 100% berücksichtigt. Für jedes weitere Jahr vor dem Erbfall wird der Wertansatz um 10% reduziert. Das bedeutet, dass mit jedem vollendeten Jahr nach der Schenkung 1/10 des Wertes der Schenkung für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches entfällt. Dieses sogenannte Abschmelzungsmodell wurde durch die Erb- und Pflichtteilsreform zum 01.01.2010 eingeführt. Für Todesfälle vor dem 1.1.2010 gilt hingegen ein „Alles- oder Nichts- Prinzip“, nach welchem alle Schenkungen in den letzten zehn Jahren vor dem Tod des Erblasers zu 100% berücksichtig wurden. Schenkungen, die länger als 10 Jahre vor dem Tod zurücklagen, bleiben unberücksichtigt.

Abschmelzungsmodell

Die Leistung des Schenkungsgegenstandes durch den Erblasser erfolgt …

Berücksichtigung des Schenkungswertes beim Pflichtteilsergänzungsanspruch mit …

im 1. Jahr vor dem Erbfall

100 Prozent

im 2. Jahr vor dem Erbfall

90 Prozent

im 3. Jahr vor dem Erbfall

80 Prozent

im 4. Jahr vor dem Erbfall

70 Prozent

im 5. Jahr vor dem Erbfall

60 Prozent

im 6. Jahr vor dem Erbfall

50 Prozent

im 7. Jahr vor dem Erbfall

40 Prozent

im 8. Jahr vor dem Erbfall

30 Prozent

im 9. Jahr vor dem Erbfall

20 Prozent

im 10 Jahr vor dem Erbfall

10 Prozent

im 11 Jahr vor dem Erbfall oder früher

0 Prozent

Das Abschmelzungsmodell gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Bei Schenkungen des Erblassers an seinen Ehegatten fängt die Abschmelzung nicht vor einer Auflösung der Ehe zu laufen an. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sämtliche Schenkungen während der Ehezeit, mögen diese auch Jahrzehnte zurückliegen, im Rahmen des Pflichtteilsrechts ergänzungspflichtig sind. Nur im Falle einer späteren Auflösung der Ehe beginnt die Frist für die Reduzierung der Pflichtteilsergänzungspflicht zu laufen.

Die Zehnjahresfrist sowie die Abschmelzung während dieser zehn Jahre nach der Schenkung beginnen auch nicht zu laufen, wenn die unentgeltliche Zuwendung nicht endgültig aus dem wirtschaftlichen Verfügungsbereich des Erblassers ausgegliedert wurde und bei diesem keinen sogenannten Genussverzicht begründet hat.

  • Dies ist nach der Rechtsprechung bei einem Vorbehaltsnießbrauch der Fall, da der Erblasser den verschenkten Gegenstand aufgrund des Nießbrauchs weiter nutzen kann. Demnach führt die Schenkung einer Immobilie unter Vorbehalt eines lebenslangen Nießbrauchs auch 25 Jahre vor Eintritt des Erbfalls noch zur Pflichtteilsergänzungspflicht.
  • Die Einräumung eines Wohnrechts an dem gesamten Schenkungsgenstand ist dem Nießbrauch gleichzustellen. Die 10-Jahresfrist beginnt also erst zu laufen, wenn das Wohnrecht erlischt oder der Berechtigte auf das Recht verzichtet. Betrifft das Wohnrecht hingegen nur einen kleinen, völlig untergeordneten Teil des Schenkungsgenstandes, beispielsweise nur zwei klein Räume eines großen, mehrstöckigen Hauses, können die Zehnjahresfrist und die Abschmelzung zu laufen beginnen. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind streitig und die Abgrenzung ist oft sehr schwer vorzunehmen.

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht

Nutzungs-, Mitsprache- und Rücktrittsrechte des Schenkers können die 10-Jahres-Frist des § 2325 Absatz 3 BGB erheblich verlängern. Deshalb gilt: „Wer zu viel beschwert, schenkt verkehrt“. Oft kann es zur Reduzierung des Pflichtteils sinnvoller sein, den betreffenden Gegenstand (beispielsweise Immobilien, Unternehmen, Gesellschaftsanteile) nicht unter Vorbehalt eines Nießbrauchs zu verschenken, sondern ihn gegen eine Rente zu veräußern.

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Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruches sind zunächst die Erben. Vom Beschenkten kann der Pflichtteilsberechtigte die Herausgabe des Geschenkes nach § 2329 BGB nur dann verlangen, wenn der Erbe selbst zur Ergänzung des Pflichtteiles nicht verpflichtet ist, etwa weil kein ausreichender oder nur ein verschuldeter Nachlass vorhanden ist oder, weil der Erbe ansonsten selber weniger als seinen Pflichtteil unter Berücksichtigung der Ergänzung erhalten würde (§ 2328 BGB).

Auskunftsanspruch zu Schenkungen des Erblassers

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gem. § 2314 BGB umfasst nicht nur die beim Erbfall vorhandene Nachlassaktiva und Passiva, sondern auch ergänzungspflichtige Schenkungen des Erblassers. Der Erbe ist deshalb auf Verlangen verpflichtet, folgende vom Erblasser zu Lebzeiten getätigte Zuwendungen in das Nachlassverzeichnis mit aufzunehmen:

  • Der Erbe muss sämtliche Schenkungen mitteilen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod getätigt hat.
  • Nach ständiger Rechtsprechung (BGH, NJW 1987, 122; OLG Düsseldorf, NJWE-FER 1999, 279) besteht eine Auskunftspflicht auch über folgende Zuwendungen, die unter Umständen länger als 10 Jahre vor dem Erbfall zurückliegen:
  • Schenkungen unter Nießbrauchvorbehalt,
  • Schenkungen unter Vorbehalt eines Wohnrechts
  • Zuwendung eines Oder-Kontos
  • Schenkungen mit Rückfall- oder Widerrufklauseln
  • Der Erbe ist gemäß § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB verpflichtet, sämtliche Schenkungen mitzuteilen, die der Erblasser an seinen Ehegatten während der Ehezeit getätigt hat; eine zeitliche Begrenzung der Auskunftspflicht (z.B. auf zehn Jahre) besteht hier nicht.
  • Des Weiteren muss das Nachlassverzeichnis sämtliche lebzeitigen Vorempfänge, die nach den §§ 2050 ff. BGB möglicherweise unter Abkömmlingen zur Ausgleichung zu bringen sind, enthalten; eine zeitliche Begrenzung der Auskunftspflicht (z.B. auf zehn Jahre) besteht hier nicht.
  • Die Auskunftspflicht besteht auch bei sog. gemischten Schenkungen, d.h. bei Zuwendungen, deren Wert möglicherweise durch eine nicht gleichwertige Gegenleistungen des Beschenkten gemindert werden.
  • Der Erbe ist weiter zur Auskunft verpflichtet, ob und in welchem Umfang der Erblasser Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall (z.B. Sparbücher, Sparkonten, Versicherungen) abgeschlossen hat. Bei Lebensversicherungen hat der Erbe mitzuteilen, ob ein widerrufliches oder ein unwiderrufliches Bezugsrecht vereinbart war, zu welchem Zeitpunkt die Bezugsrechtseinräumung durch den Erblasser erfolgte, wie hoch die Lebensversicherungssumme ist, in welcher Höhe der Erblasser bis zum Erbfall Versicherungsprämien bezahlt hat sowie welchen Wert die Versicherung zum Todeszeitpunkt hatte. Hierzu ist der Rückkaufswert der Lebensversicherung zum Zeitpunkt des Todes mitzuteilen.

Bewertung ergänzungspflichtiger Schenkungen

Bei der Bewertung der vom Erblasser verschenkten Gegenstände ist zwischen verbrauchbaren Sachen, wozu auch Geld und Wertpapiere gehören, und nicht verbrauchbaren Sachen, wie beispielsweise Grundstücke, Mobiliar und Schmuckgegenstände zu unterscheiden:

  • Verbrauchbare Sachen sind mit dem Wert zum Zeitpunkt der Schenkung anzusetzen (§ 2325 Absatz 2 Satz 1 BGB).
  • Nicht verbrauchbare Sachen werden gemäß § 2325 Absatz 2 Satz 2 BGB mit dem Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls angesetzt oder, wenn der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger war, mit diesem Wert. Bei nicht verbrauchbaren Sachen ist somit immer der Wert zum Zeitpunkt des Todes mit dem Wert zum Zeitpunkt der Schenkung zu vergleichen und der sich hieraus ergebende, niedrigere Wert der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen (sogenanntes Niederstwertprinzip).

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht

Eine Besonderheit ist bei der Bewertung von Gegenständen zu beachten, an denen sich der Schenker Nutzungsrechte beispielsweise einen Nießbrauch  vorbehalten hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW-RR 2006, 877) wird im Falle einer Immobilienschenkung unter Nießbrauchvorbehalt der stichtagsbezogene Vergleich der Werte zum Schenkungszeitpunkt und zum Todeszeitpunkt zunächst ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs durchgeführt. Der Grundstückswert wird unabhängig vom vorbehaltenen Nießbrauch zu beiden Zeitpunkten bestimmt. Ergibt sich nach dem Niederstwertprinzip die Maßgeblichkeit des Wertes zum Zeitpunkt des Todes, verbleibt es bei dem ermittelten Grundstückswert ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs. Dieser wird nicht mehr abgezogen, da er durch den Tod des Berechtigten erloschen ist. Ergibt die Bewertung hingegen einen niedrigeren Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schenkung, ist der Nießbrauch von dem Wert abzuziehen, da er – anders als zum Todeszeitpunkt – zum Zeitpunkt der Schenkung noch bestand.

Anrechnung lebzeitiger Zuwendungen

Anders als beim Pflichtteilsanspruch, auf den sich der Pflichtteilsberechtigte erhaltene Eigengeschenke nur anrechnen lassen muss, wenn der Erblasser dies spätestens bei der Schenkung bestimmt hat, sind beim Pflichtteilsergänzungsanspruch Eigengeschenke, die der Ergänzungsberechtigte erhalten hat, immer anzurechnen (§ 2327 Absatz 1 Satz 1 BGB). Die Anrechnung erfolgt auch dann, wenn der Erblasser sie nicht angeordnet hat. Eine zeitliche Begrenzung gibt es bei diesen Zuwendungen nicht. Im Ergebnis muss sich der Pflichtteilberechtigte somit auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch alle jemals erhaltenen Eigengeschenke anrechnen lassen.

Sind Eigengeschenke zu berücksichtigen, erfolgt die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs wie die Berechnung eines Pflichtteilsanspruchs im Falle anrechnungspflichtiger Zuwendungen.

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